Im ersten Teil unserer Einordnungen zur Landtagswahl in Thüringen haben wir die Wirtschaftsverständnisse der Parteien genauer unter die Lupe genommen. Abschließend gilt nun unser Blick der Hochschulpolitik. Wir waren neugierig, wie sich die Parteien zu unserem Anliegen einer pluralen Ökonomik positionieren würden. Schließlich gilt es auch Wege hin zu einer zukunftsfähigen Wirtschaftsweise zu erforschen sowie Studierende fit für die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu machen. Für uns ein Anlass, sich mit der Frage der politischen Rahmensetzung von Lehre & Forschung auseinanderzusetzen.
Im Jahr 2007 erschütterte eine globale Banken- und Finanzkrise nicht nur die Politik, sondern insbesondere auch die Wirtschaftswissenschaften. Tatsächlich stellen diese Ereignisse für uns ebenfalls einen wichtigen Referenzpunkt dar. Denn es wurden nicht nur vorherrschende Engführungen im ökonomischen Denken offensichtlich, gleichfalls gewann das Anliegen einer pluralen Ökonomik an Auftrieb. (1) Weiterführend: z.B. “Die Krise der VWL und die Vision einer Pluralen Ökonomik” (Dirk Ehnts und Lino Zeddies/wirtschaftsdienst.eu 2016). In Deutschland konnte sich das Netzwerk Plurale Ökonomik als ein zentraler Akteur im Diskurs um eine Erneuerung der Wirtschaftswissenschaften etablieren. Hier organisieren sich Studierende um verschiedene Kritiken zu diskutieren sowie um sich mit alternativen ökonomischen Perspektiven und Ansätzen auseinanderzusetzen und diese sichtbar zu machen. Sei es mit selbstorganisierten Veranstaltungen, Lesekreisen oder Gesprächsrunden – siehe exemplarisch unsere Aktivitäten in Jena oder auch die Online-Plattform Exploring Economics und das aktuelle Projekt Economists4Future.
Die einseitige Ausrichtung der ökonomischen Lehre ist mittlerweile gut dokumentiert. (2) Beispielsweise: (Silja Graupe 2017), (Frank Beckenbach et al. 2016), (Till van Treeck und Janina Urban, Hrsg. 2017). Dabei lässt sich durchaus auch eine allgemeine Unzufriedenheit bei Studierenden feststellen. Dennoch bleiben die Aussichten auf nötige strukturelle Veränderungen insgesamt weiterhin ernüchternd. (3) Weiterführend: z.B. (Sebastian Thieme/makronom.de 2018), (oekonomik.info), (Arne Heise et al. 2017). Auch, weil innerhalb der Standard-Ökonomik (4) Weiterführend: “Paradigmadominanz in der modernen Ökonomik und die Notwendigkeit eines kompetitiven Pluralismus” (Frank Beckenbach, in: Perspektiven einer pluralen Ökonomik 2019). immer noch kaum adäquate Auseinandersetzungen mit dem Zustand und dem Anliegen einer pluralen Ökonomik stattfinden, abgesehen von einzelnen Ausnahmen. (5) Beispielsweise: Lüneburg (leuphana.de 2019), (Oliver Richters und Hannes Vetter/makronom.de 2018), (Birte Strunk/makronom.de 2017). Doch in jüngerer Zeit lassen sich immerhin punktuell einige hoffnungsvoll stimmende Entwicklungen identifizieren: So wurde beispielsweise 2015 mit der Cusanus Hochschule in Bernkastel-Kues eine staatlich anerkannte Hochschule in freier Trägerschaft gegründet, seit dem Wintersemester 2016/17 kann an der Universität Siegen der Masterstudiengang “Plurale Ökonomik” studiert werden und an der Universität Duisburg-Essen startete dieses Semester der Masterstudiengang “Sozioökonomie”. (6) Eine Übersicht über interessante Studiengänge findet sich unter www.plurale-oekonomik.de/studiengaenge Außerdem wurde erst kürzlich bekannt gegeben, dass an der Universität Flensburg eine Tenure-Track-Professur für plurale Ökonomik eingerichtet wird. Es handelt sich hierbei um die Umsetzung eines Vorhabens, das die schleswig-holsteinische Landesregierung aus CDU, GRÜNE und FDP in ihrem Koalitionsvertrag angekündigt hatte. (7) “Um die wirtschaftswissenschaftlichen Fachangebote in Schleswig-Holstein sinnvoll zu ergänzen, werden wir eine Professur für ‘Plurale Ökonomik’ schaffen“ (Koalitionsvertrag 2017-2022 von CDU, GRÜNEN, FDP: 26). Diese Institutionalisierungen markieren punktuell einige positive Entwicklungen einer Pluralisierung von Ökonomik. Es sollte allerdings auch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese üblicherweise nicht an einem (rein) wirtschaftswissenschaftlichen Fachbereich angesiedelt sind. Für uns ist dies bezeichnend für den eng geführten Zustand innerhalb der Wirtschaftswissenschaften.
Die anstehende Landtagswahl am 27. Oktober in Thüringen ließ bei uns daher die Frage aufkommen, inwiefern sich die Politik dieser Problematik überhaupt bewusst ist und wie sie sich zu unserem Anliegen einer pluralen Ökonomik positioniert würde. Uns interessierte, ob die Politiker*innen in der Notwendigkeit einer nachhaltigen Wirtschaftsweise auch die Notwendigkeit neuen ökonomischen Denkens anerkennen würden. Dies werden wir hier also genauer unter die Lupe nehmen und zur Diskussion stellen.
Zum Vorgehen & Verständnis des Blogartikels
In den Semesterferien bildeten wir ein kleines Projektteam und diskutierten mögliche Fragen und thematische Schwerpunkte. Schließlich wählten wir fünf Fragen aus, die wir Anfang September an die thüringische CDU, LINKE, SPD, AfD, GRÜNE und FDP zur Beantwortung versandten. Wir haben nur Parteien kontaktiert, denen nach damaligen Umfragen eine reelle Chance auf einen Einzug in den Landtag prognostiziert wurde.
Ein großer Dank gilt an dieser Stelle allen genannten Parteien für ihre vollständige Beantwortung unserer Fragen sowie den teils ausführlichen Antworten. Der inhaltliche Gehalt variierte gleichwohl durchaus. Wir fanden darunter auch einige typische Politiker*innen-Floskeln. Um Unklarheiten und zentrale Widersprüche herausarbeiten zu können, entschieden wir uns für das Blogartikel-Format. Dabei möchten wir hervorheben, dass es sich im Folgenden um eine persönliche Einschätzung unsererseits handelt. Uns liegt es dabei fern, das Engagement und Bemühen der Politiker*innen pauschal schlechtzureden. Auch möchten wir nicht suggerieren, dass wir es besser wüssten. Vielmehr gilt es zu betonen, dass es sich um Versuche der Einordnungen unsererseits handelt. Wir stützen uns dabei hauptsächlich auf die getätigten Antworten der Parteien. Logischerweise können wir damit nur einen kleinen Ausschnitt von Politik beleuchten.
Es bleibt also unabdingbar, sich auch anderweitig zu informieren: Sei es
mittels Wahlprogramme, der allgemeinen Berichterstattung, auf
Wahlkampfveranstaltungen sowie auch, indem sich die parlamentarische
Arbeit und konkrete Abstimmverhalten genauer angeschaut wird. Das hier
zu berücksichtigen, können wir ausdrücklich nicht leisten.
Als Studierenden-Initiative sind wir parteipolitisch unabhängig.
Der Beitrag wurde maßgeblich durch David J. Petersen verfasst und entstand unter Mitarbeit von Tabea Seeßelberg, Martino Pietrini, Lara Saba und Johannes Schubert. Die Beteiligten sind Studierende an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und engagieren sich vor Ort im Netzwerk Plurale Ökonomik. Sie sind in keiner der genannten Parteien engagiert oder dort Mitglied. Eine Wahlempfehlung für eine Partei wird von uns ausdrücklich nicht getroffen, auch wenn unsere kritischen Auseinandersetzungen sicherlich in bestimmten Aspekten gewisse inhaltliche Positionierungen deutlich werden lassen. Wir verstehen die folgende Einordnung unserseits als einen Diskussionsbeitrag, der dazu ermuntern möchte, sich mit den parteipolitischen Positionen und der thüringischen Wirtschaftspolitik auseinanderzusetzen und der zum Nachdenken über ökonomische Denkweisen und Verständnisse anregen möchte.
Die Zwischenüberschriften sind als eine pointierte Einordnung zu verstehen, die unseren Eindruck von der jeweiligen parteipolitischen Position in Form einer Frage zur Diskussion stellen möchte. Die Anordnung der Parteien orientiert sich an den Wahlergebnissen der letzten Landtagswahl. Unsere zentralen Befunde fassen wir abschließend in einem Fazit prägnant zusammen.
Zur allgemeinen Transparenz finden Sie hier die Original-Antworten der Parteien als PDF-Dokumente verlinkt.
Zur Haltung einer pluralen Ökonomik: Menschenwürde
& Wissenschaftsfreiheit
Was soll diese Einordnung bringen?
“Machen Politiker*innen am Ende nicht eh das, was vor allem ihnen selbst nützt oder Sachzwänge vorzugeben scheinen?” Kann sein, muss aber nicht. Wir sind überzeugt: Eine lebendige Demokratie hängt vor allem davon ab, wie sehr sich Menschen in ihr engagieren (können). Klar, es gibt offensichtlich Menschen, die vom jetzigen System besonders profitieren und aktiv versuchen mögen, dass dies möglichst so bleibt. Und es gibt Menschen, die darunter spezifisch leiden (wie auch jene, die es erstmal nur für sich behaupten). Doch eine plurale Ökonomik kann uns lehren, dass es sich lohnt genauer hinzuschauen und zu differenzieren, als nur das vermeintlich Sichtbare wie auch die oben genannten Polarisierungen zu betrachten. Letztlich ist dies sogar ein fundamentaler Aspekt, um Pluralität überhaupt erst anerkennen zu können.
Genau dies fordern wir, zumindest nach unserem Verständnis, mit dem Anliegen einer pluralen Ökonomik ein. Wir fordern also ausdrücklich kein neues Paradigma, das die angebliche Alternativlosigkeit nur durch eine andere ersetzen würde. Für uns handelt es sich vielmehr um eine Zielformulierung für ein wissenschaftliches Verständnis und eine Zustandsbeschreibung für eine Ökonomik, in der Offenheit und Neugier auf vermeintlich “Neues” und bisher “Unbekanntes” vorherrscht und eben nicht versucht wird, alles in das gewohnte Schema von bloßen Variationen zu drücken.
Was Pluralität gefährdet
Insofern erfüllen uns die derzeitigen gesellschaftspolitischen Entwicklungen mit große Sorge. Es sorgt uns, zu beobachten mit welcher Vehemenz bestimmte Akteure(8) Weiterführend: “Autoritäre Versuchungen” (Wilhelm Heitmeyer, 2018). das Denken in Schwarz-Weiß-Bildern befeuern und eine Einheit dort zu beschwören versuchen, wo es gilt Vielfalt anzuerkennen, wenn sich jene stets als die “Guten” und “wahren” Volksvertreter und zugleich als Opfer von “dunklen” Gegenmächten inszenieren. Vorzugsweise wird dies dann in allgemein positiv belegte Hüllen gepackt – wie beispielsweise Freiheit, Demokratie und Wohlstand. Wer und was dem widerspricht, wird der böswilligen Täuschung, des Korrupten und der ideologischen Verblendung verdächtigt und diskreditiert. Es entsteht ein “demagogisches Panorama”, indem eine grundsätzlich feindliche Weltwahrnehmung nur folgerichtig scheint. Dies fördert ein bloßes Freund-Feind-Denken, in dem Stereotypen und Ressentiments genähert sowie zugleich irreführende Kontextualisierungen und falsche Wirklichkeitsbilder produziert werden. Von da an, ist es nur noch ein Sprung, dass die Würde des Menschen nicht mehr gilt.(9) Es sind höchst problematische Tendenzen, die sich wohlgemerkt auch anderswo finden lassen – beispielsweise durchaus auch innerhalb der Ökonomik. Weiterführend: www.exploring-economics.org/de/entdecken/okonomische-misanthropie-grundmuster-konsequenzen (Sebastian Thieme, 2018). . Es beschränkt die eigene Weltsicht und Vorstellungskraft.
Solche Tendenzen gefährden letztlich auch eine freie Wissenschaft sowie im Besonderen das Anliegen einer pluralen Ökonomik. Denn die Anerkennung von Pluralität, die voraussetzt, sich sowohl irritieren wie auch inspirieren zu lassen, benötigt einen Ermöglichungsraum der Neugier und der Begegnungen, nicht der Missgunst und Feindseligkeit. Es erfordert wissenschaftliche Erkenntnisse ernst zu nehmen und dabei stets den eigenen Irrtum nicht auszuschließen, statt absolute Wahrheitspostulate zu proklamieren. Eine selbstkritische Reflexion, die nicht in der eigenen “Blase” verharrt, wird damit zum wesentlichen Ausgangspunkt und zur stetigen Herausforderung. Das ist nicht immer einfach, manchmal auch kräftezehrend. Wir sind dennoch überzeugt, dass jenes die Voraussetzung bildet, sich ansatzweise dem Verstehen unserer komplexen, dynamischen und pluralen Welt anzunähern und damit adäquate Antworten auf die Krisen und Herausforderungen unserer Zeit finden zu können.
Wichtige Anmerkungen zur AfD
Wir haben die Entscheidung getroffen, auch die AfD nach ihren Positionen zu befragen und diese hier darzulegen. Einerseits möchten wir nicht ignorieren, dass laut aktuellen Umfragen um die vierundzwanzig Prozent der Befragten ihr Kreuz bei dieser Partei setzen würden. Das mag uns persönlich mit Sorge erfüllen und dennoch gilt es das offene Gespräch mit all jenen zu suchen, die noch an einen demokratischen Diskurs interessiert sind. Gleichwohl gilt auch die Feststellung, dass die AfD Thüringen mit Björn Höcke einen Spitzenkandidaten gekürt hat, dessen faschistoide Weltanschauung durch umfangreiche Belege erkennbar ist. Beispielsweise wird im Gutachten des Bundesamts für Verfassungsschutz u.a. festgestellt:
In seinen Reden bekennt sich Höcke in zahlreichen Äußerungen zu einer völkisch-nationalistischen Ideologie, die allein das Überleben des als historisch gewachsene, organische Einheit gedachten Volkes für wichtig hält, hinter dem das Wohlergehen des einzelnen Menschen zurückzutreten hat und die deswegen mit der Garantie der Menschenwürde nicht vereinbar ist. Sie stellen so die Garantie der Menschenwürde in Frage weil sie dem Menschen seine Würde nicht um seiner selbst willen zuschreiben, sondern sie von seiner Zugehörigkeit zum ‘Volk’ abhängig machen. […] Höcke postuliert jedoch nicht nur entgegen der pluralistischen Grundannahmen des Grundgesetzes einen objektiv vorhandenen Gemeinschaftswillen des – ethnisch-homogen zu verstehenden – Volkes, sondern schreibt gemäß seinem Politikverständnis dem Prototyp des wahren „Staatsmann[s]“ auch die besondere Gabe zu, kraft der eigenen Persönlichkeit diesen kollektiven Willen entgegen möglicher Stimmungsschwankungen im Volk selbst zu erkennen und in dessen Interesse durchzusetzen.
Bundesamt für Verfassungsschutz/netzpolitik.org 2019: Kap. C.III.5.2.1 und C.III.6.3Wohlgemerkt: 84,4 Prozent der AfD-Delegierten haben Höcke als Spitzenkandidaten gewählt. Die von der Partei gern erzählte Geschichte von einzelnen personellen Ausfällen, lässt sich hier in keiner Weise mehr aufrechterhalten. Andererseits ist uns wichtig, dass eine solch klare Abgrenzung auch plausibel wird, indem sich inhaltlich nachvollziehbar mit den jeweiligen Positionen und Verständnissen auseinandergesetzt wird.
Wir sagen daher deutlich:
Selbstverständlich gibt es Gründe, von Politik enttäuscht zu sein. Doch: Wer der AfD Thüringen seine Stimme gibt, der wählt offensichtlich Personen in Ämter, die solch faschistoide Tendenzen aktiv befördern. Das ist für uns keine Alternative, noch schafft es Alternativen. Unsere Position ist eindeutig: Wir lehnen solch menschen- und wissenschaftsfeindliche Tendenzen ab.
Eine klare Positionierung im gesellschaftspolitischen Feld einzunehmen, bedeutet nicht Wissenschaftlichkeit aufgeben zu müssen. Es sollte auch nicht dazu führen. Vielmehr stellt es für uns eine wesentliche Voraussetzung dar, sich zivilisatorische Errungenschaften (wie Menschenwürde und Wissenschaftsfreiheit) überhaupt bewusst zu werden. Gerade wenn wir in Zeiten aufwachsen, wo uns dies so selbstverständlich daherkommen mag. Ob “Die Würde des Menschen ist unantastbar” oder auch „Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei“. Beide Beispiele markieren rechtliche wie auch gesellschaftspolitische Grundsetzungen.
Hingegen gibt es bei uns kein Recht darauf, anderen das Menschsein bzw. die Würde abzusprechen. Auch nicht, die Wissenschaftsfreiheit widerspruchslos in Frage stellen zu dürfen. Für uns sind diese Werte unverhandelbar. Doch was als unverhandelbar gilt, ist allgemein weder eindeutig bestimmt noch unveränderlich. Schon gar nicht entsteht ein solches Verständnis im luftleeren Raum. Es handelt sich vielmehr um zivilisatorische Errungenschaften, die historisch und politisch teils hart und blutig errungen worden und auch heute noch stets reaktualisiert werden. Abstrakte Begriffe wie Freiheit und Demokratie werden erst lebendig, wenn sie mit konkreten Verständnissen gefüllt werden.
Die Grundlage für die nachfolgenden Einordnungen unsererseits bilden die Antworten der thüringischen Parteien auf die Fragen:
- Wie stehen Sie zu der Idee, in Thüringen ein bundesweit-vernetztes interdisziplinäres Forschungsnetzwerk im Sinne einer pluralen Ökonomik aufzubauen (z.B. mittels eines wirtschaftspolitischen Forschungs- und Beratungsinstituts)?
- Würden Sie sich für die Einrichtung einer Professur für Plurale Ökonomik an einer Universität in Thüringen stark machen?
Wir laden zur Debatte ein – ob als Wähler*in oder (zukünftige*r) Landtagsabgeordnete*r! Gerne kontrovers und konstruktiv, aber bitte stets wertschätzend und respektvoll im Umgang miteinander.
CDU: Große Offenheit gegenüber dem Vorhaben einer pluralen Ökonomik?
Die CDU begrüßt die Idee eines “bundesweit-vernetzen interdisziplinären Forschungsnetzwerks im Sinne einer pluralen Ökonomik” und betont:
Andere Perspektiven und Sichtweisen auf die Wirtschaftswissenschaften sind wichtig. Gerade in der Ökonomik ist es von besonderer Bedeutung, über den Tellerrand hinaus zu schauen.
Diese Formulierung spiegelt unsere allgemeine Motivation gleichermaßen wider. So könnte beispielsweise auch ein Raum geschaffen werden, sich u.a. mit aktuell vernachlässigten Perspektiven auf die Soziale Marktwirtschaft auseinanderzusetzen sowie mit Ansätzen, die auf eine sozial-ökologische Einbettung fokussieren. Wir sehen hier jedoch vor allem Politik und Hochschulen in der Verantwortung, die nötigen Infrastrukturen und unterstützende Ressourcen bereitzustellen. Gleichzeitig könnte es spannend sein, hierbei neue Wege zu erproben: Indem beispielsweise ein entsprechendes An-Institut(Def.) Definition: Eine Bezeichnung für rechtlich selbständige Einrichtungen an deutschen Hochschulen, die zwar organisatorisch, personell und räumlich mit diesen verflochten sind, ohne jedoch einen integralen Bestandteil der jeweiligen Hochschule zu bilden (wikipedia.de) konzeptionell auf Nachwuchsförderung ausgerichtet und eine partizipative Lehr- und Forschungsorganisation ermöglicht würde.
Zur Einrichtung einer Professur für Plurale Ökonomik signalisiert die CDU eine große Offenheit sowie die Bereitschaft einer gemeinsamen Prüfung:
Es ist gemeinsam mit den Hochschulen zu prüfen, inwieweit ein Bedarf für die Einrichtung einer Professur für plurale Ökonomik vorhanden ist.
DIE LINKE: Eindeutiges Bekenntnis zur Förderung einer pluralen Ökonomik?
Die LINKE spricht sich am deutlichsten von allen Parteien für eine Etablierung pluraler Ökonomik in der thüringischen Hochschulwelt aus. Sie verweist auf ihr Wahlprogramm, wo die Einrichtung einer Professur für plurale Ökonomik explizit angekündigt wird. Schon in ihrer Antwort im Teil 1 hatte sich die LINKE auf zentrale Kritiken der pluralen Ökonomik bezogen und diese anerkannt. Außerdem kündigte sie die Gründung eines entsprechendes Instituts an:
Wir stehen für eine sozial-ökologische Transformation von Gesellschaft und Wirtschaft. Dazu braucht es auch entsprechende Forschung und Beratung. Wir wollen daher ein entsprechendes wirtschaftswissenschaftliches Forschungs- und Beratungsinstitut schaffen, um der neoklassischen Forschung und Beratung Denken und Forschung vielfältigeren Zuschnitts zu Seite zu stellen. Dazu gehören ausdrücklich auch (post-)keynesianische, marxistische, ökologische und feministische Wirtschaftstheorien.
Auch diese Formulierung spiegelt ein Kernanliegen unsererseits wieder. Die LINKE befürwortet darüber hinaus auch grundsätzlich den Aufbau eines bundesweiten Forschungsnetzwerkes, in dem ebenso das neuzugründende Institut eingebettet werden könne, um “Lerneffekte” und “vielfältige Synergieeffekte” zu schaffen.
Bemerkenswert ist außerdem die konkrete Ankündigung, sich für die “Umsetzung der Forderung schon in der nächsten Legislatur stark” machen zu wollen. Insgesamt wird also eine eindeutige Unterstützung des Anliegens einer pluralen Ökonomik formuliert.
SPD: Eine Frage des Realismus?
Die SPD beruft sich in ihrer Antwort hingegen wieder auf “Realismus” und erweckt bei uns den Eindruck, lieber nichts Neues wagen zu wollen. Stattdessen betont sie:
Von Thüringen aus werden die Grundfeste betriebs- bzw. volkswirtschaftlicher Betrachtungen nicht aus den Angeln gerissen. Hierfür braucht es sehr viel Forschungs- und Publikationstätigkeit und den akademischen Austausch zwischen der etablierten Forschungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Ein staatlich initierties Forschungs- und Beratungsinstitut ist hierfür nicht geeignet.
Der allgemeine Duktus fällt damit ähnlich ambitionslos aus, wie bei den Antworten in Teil 1. Im ersten Satz wird eine Erwartung negiert, die unseres Erachten niemand erhoben hat. Wir zumindest nicht. Der zweite Teil hingegen muss sich für jeden engagierten pluralen und heterodoxen Ökonom*innen schon fast zynisch anhören. Die SPD hat zwar erkannt, dass eine zentrale Herausforderung darin besteht, diese Öffnung zu bewerkstelligen, ohne derzeitige Wissenschaftler*innen in ihrer Wissenschaftsfreiheit einzuschränken. Unser zentrales Anliegen, der Einsatz für marginalisierte Wissenschaftler*innen, wird aber leider nicht erkannt. Dabei lassen entsprechende Pfadabhängigkeiten in den Wirtschaftswissenschaften es als eher unwahrscheinlich erscheinen, dass die Disziplin die Engführungen aus sich selbst heraus überwinden wird. (2) Beispielsweise: (Silja Graupe 2017), (Frank Beckenbach et al. 2016), (Till van Treeck und Janina Urban, Hrsg. 2017). und (3) Weiterführend: z.B. (Sebastian Thieme/makronom.de 2018), (oekonomik.info), (Arne Heise et al. 2017). Die Frage, wie der Staat angemessen für die Gewährleistung von Wissenschaftsfreiheit sorgen könnte, bleibt ungeklärt.
Das Anliegen einer Professur für plurale Ökonomik beinhaltet für uns den Versuch, verstärkt vielfältige Perspektiven institutionell zu festigen um so den wissenschaftlichen Diskurs zu bereichern. Die SPD verweist hierbei nur auf die alleinige Verantwortung der Thüringer Hochschulen. Eine solch einseitige Auslegung der Wissenschaftsfreiheit bleibt erklärungsbedürftig. Zumal zugleich die SPD (wie übrigens auch andere Parteien) in ihrem Wahlprogramm (21) eine starke Ausrichtung der Hochschulen auf Unternehmenskooperationen betont. Hier scheint der politische Gestaltungswille wiederum erstaunlich groß.
AfD: Trügerische Offenheit gegenüber dem Anliegen einer pluralen Ökonomik?
Die AfD gibt sich, trotz ihrer im Teil 1 geäußerten Vorbehalte, allgemein offen gegenüber dem Vorhaben plurale Ökonomik an den Hochschulen in Thüringen zu etablieren:
Es ist dringend notwendig, dass alternative Ansätze auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Forschung einen größeren Platz in beispielsweise der Politikberatung erhalten. Der Idee eines bundesweit-vernetzten interdisziplinären Forschungsnetzwerkes stehen wir definitiv offen gegenüber.
Ebenso wird die Unterstützung des Anliegens einer Einrichtung einer pluralen Professur eindeutig mit “Ja!” beantwortet.
Stellt dies nun also einen Widerspruch zu unseren getätigten vorangegangen Einordnungen dar, dass in der AfD Thüringen “faschistoide Weltanschauungen” offensichtlich einen Platz finden und befördert werden (siehe Ausführungen im Abschnitt “Zur Haltung einer pluralen Ökonomik”)? Darüber hinaus hatten wir der AfD eine “wissenschaftsfeindliche” Positionierung zum Klimawandel attestiert.
Es macht das Dilemma einer pluralen Ökonomik ersichtlich, sofern nicht hinreichend deutlich gemacht wird, was unter Pluralität verstanden wird. Gilt dieses Postulat beispielsweise auch für völkische und rechtextreme Wirtschaftsansätze? (10) Beispielsweise: Debattenbeitrag “Die Stunde der Pluralen Ökonomie” (Samuel Decker 2017). Gedankenimpulse zur allgemeine Diskussion: (Jan-Werner Müller/soziopolis.de 2019) Unsere Position lautet eindeutig nein, da der zentraler Maßstab einer pluralen Ökonomik die Orientierung an Menschenwürde und Wissenschaftlichkeit sein sollte.
Auf Letzteres beruft sich allerdings auch ausdrücklich die AfD. Doch um diesen vermeintlichen Widerspruch aufzulösen, müssen wir noch mal ins Wahlprogramm der Partei schauen. Dort wird einerseits an allgemeine Kritiken gegenüber dem Wissenschaftssystem (z.B. Bologna-Reform) angeknüpft, um anderseits damit das demagogische Panorama einer “ideologischen Indoktrination” der Hochschulen plausibel erscheinen zu lassen. Diese diskreditierenden Behauptungen werden genutzt, um einen offensichtlichen Widerspruch zur proklamierten Wissenschaftsfreiheit zu verschleiern. Durch die Abwertung als bloße “Ideologie” wirkt der folgende massive Eingriff in die Wissenschaft plötzlich wenig problematisch. Dies wird u.a. in folgender Aussage offensichtlich:
Ideologie steht auch hinter der politischen Förderung bestimmter Forschungszweige wie etwa der „Gender-Forschung“. Es ist die Überzeugung der Thüringer AfD, dass die Etablierung von Pseudowissenschaften ein Kennzeichen totalitärer Regime, nicht aber freiheitlicher Gemeinwesen ist. Daher fordern wir die Abschaffung von als Wissenschaft getarnten Ideologieprogrammen, namentlich der „Gender-Forschung“, an den Thüringer Hochschulen.(AfD-Wahlprogramm 2019: 36)
Dahinter steht eine nachweislich wissenschaftsfeindliche Agenda gegenüber unliebsamen Forschungen. Es wird hierbei sogar nicht davor gescheut, den angeblich unhaltbaren Zustand in die Ecke “totalitärer Regime” zu rücken. Bezeichnend ist, dass es in der Vergangenheit insbesondere AfD-Politiker*innen waren, die offen mit autoritär-nationalistischen Tendenzen symphatisiert haben. Es sind jene Tendenzen, die eine freie Wissenschaft bedrohen – aktuell beispielsweise in Ungarn, Brasilien und Polen zu beobachten. (11) Beispielsweise: Schlaglichter zu Ungarn (Andrea Pető/taz.de 2018), Brasilien (spiegel.de 2019), Polen (deutschlandfunk.de 2018). Entsprechend scheint auch die Wissenschaftsgemeinschaft in Deutschland allgemein beunruhigt. (12) Beispielsweise: Resolution “Wissenschaftsfreiheit weltweit” (UNESCO.de 2017), Offener Brief an Victor Orbán (zeit.de 2019). Aktuelle Kampagne zu 70 Jahre Grundgesetz: https://wissenschaftsfreiheit.de
GRÜNE: Ist die Ökonomik nicht schon plural?
Die GRÜNEN sehen, wie es schon in ihren Antworten im Teil 1 anklang, grundsätzlich kein Problem in den vorherrschenden ökonomischen Antworten. So wird auch hier auf eine “ganze Reihe kleiner Institute mit anderen, teils interdisziplinären Forschungsansätzen” verwiesen:
All deren Expertise fließt bereits jetzt in die politische Debatte mit ein. Eine Antwort auf die Frage nach der Notwendigkeit eines neuen Forschungsnetzwerks i.S. der pluralen Ökonomik kann nicht die Politik, sondern alleine die Wissenschaft geben.
Ebenso wird die Finanzierungsfrage dort hinverlagert. Mit dem Verweis auf die “verfassungsgemäße Freiheit von Forschung und Lehre” wird zudem die Forderung nach einer Professur abgelehnt. Angekündigt wird gleichwohl, sich “im Rahmen der uns gegebenen Möglichkeiten für eine wohlwollende Prüfung stark machen” zu wollen. Dies bleibt erklärungsbedürftig. Denn in ihrem Wahlprogramm lassen sich durchaus Forderungen finden, die eine angemessene politische Rahmensetzung einer zukunftsgerichteten Forschung betreffen. So wird beispielsweise angekündigt:
Wir wollen die Diversität der Forschung stärken und auch die Forschung in sogenannten Orchideenfächern sicherstellen. Zudem müssen mehr ergebnisoffene Forschungsvorhaben möglich sein. Die Erforschung zentraler Zukunftsfragen der Menschheit, zum Beispiel Klimaschutz oder die Bewahrung von Biodiversität, wollen wir besonders fördern. […] Wir wollen Anreize dafür schaffen, dass sich Forschung mit innovativen und gesellschaftlichen Kernfragen, wie der ökologischen Krise oder einer zukunftsfähigen Postwachstumsgesellschaft, auseinandersetzt.(GRÜNE-Wahlprogramm 2019: 85f)
Die GRÜNEN benennen sogar mit “Postwachstumsgesellschaft” explizit einen wissenschaftlichen Forschungsstrang, der sich u.a. in der Ökologischen Ökonomik wiederfindet. Jener Ansatz kann als gutes Beispiel für die Marginalisierung von alternativen Ansätzen in der Standard-Ökonomik gelten.
Sprich: Auch bei den GRÜNEN lassen sich durchaus Positionen wiederfinden, die sich im Anliegen einer pluralen Ökonomik wiederspiegeln. Ebenso werden gewisse politische Rahmensetzungen eingefordert. Leider wird dies bislang verkannt – zumindest der vorliegenden Antwort nach zu urteilen.
FDP: Grundsätzliche Offenheit gegenüber einer pluralen Ökonomik?
Die FDP steht dem Aufbau eines interdisziplinären Forschungsnetzwerkes “grundsätzlich offen gegenüber”:
Wir Freien Demokraten wollen den Freistaat Thüringen in den nächsten Jahren zu einem Zentrum der Forschung in Deutschland ausbauen. Durch einen ausgeprägten Wettbewerb zwischen einzelnen Fachbereichen werden Hochschulen mit ausgeprägten Profilen geschaffen, die in der Lage sind, im internationalen Vergleich eine wissenschaftliche Vorreiterrolle in ihrem Bereich zu übernehmen.
Dabei wird allerdings auch die “Autonomie der Hochschulen” betont sowie dass “eng mit Akteuren aus der Hochschullandschaft zusammen[ge]arbeit[et]” werden sollte. Als Maßnahmen werden “Experimentierklauseln, Sonderwirtschaftszonen oder Modellregionen” gefordert – eine Forderung, die auch schon in Teil 1 im Fokus stand.
Mit Blick auf eine Professur, wird von der FDP eingewandt, dass dies den Hochschulgremien obliegen würde. Zugleich würden entsprechende Entwicklungen in diese Richtung aber auch nicht durch sie behindert werden. Es markiert für uns eine weitere erklärungsbedürftige Position. Denn wenn eine solche Entscheidung tatsächlich allein den Hochschulgremien obliegen würde, dann wirkt der explizite Hinweis auf eine wohlwollende “Gewährung” widersprüchlich. Zumal die schleswig-holsteinische Regierungskoalition aus CDU, Grüne und FDP gezeigt hat, dass die Einrichtung einer solchen Professur durchaus von Politik aktiv unterstützt werden kann.
FAZIT: Plurale Ökonomik, bald auch in Thüringen? Es braucht eine Politik, die Wissenschaftsfreiheit sicherstellt sowie Forschungen zu nachhaltigen Wirtschaftsweisen fördert
Unsere Auswertung der Antworten der Parteien zeigt, dass allgemein durchaus eine gewisse Offenheit gegenüber dem Anliegen einer pluralen Ökonomik geäußert wird. Allerdings wird auch ein Spannungsverhältnis deutlich:
- Während die Gründung eines interdisziplinären Forschungsnetzwerkes teils große Unterstützung erfährt (CDU, LINKE, AfD, FDP), sehen andere Parteien keine unmittelbare Notwendigkeit bzw. eine solche Entscheidung nicht in ihren Kompetenzbereich (SPD, GRÜNE). Teils liegt dies vermutlich an unterschiedlichen Vorstellungen davon, was unsere Idee konkret meinen könnte. Die Wissenschaftsfreiheit wird allgemein stark hervorgehoben. Dabei konnten wir aufzeigen, dass das Spannungsverhältnis im Hinblick auf andere politische Rahmensetzungen sowie bestimmte Wahlversprechen klärungsbedürftig bleibt.
- Die Positionierungen für die Einrichtung einer Professur für plurale Ökonomik fallen hingegen deutlich verhaltener aus. Die CDU zeigt grundsätzlich eine große Offenheit und auch die Bereitschaft dies gemeinsam mit den Hochschulen prüfen zu wollen. Eindeutig dafür, positionieren sich bislang nur LINKE und AfD. Wobei wir uns an dieser Stelle auch deutlich von der im Kern wissenschaftsfeindlichen Position der AfD distanzieren und dort zugleich auch ein fragwürdiges Pluralitätsverständnis feststellen konnten. Die anderen Parteien verweisen darauf, dass dies allein den Hochschulen obliegen würde (SPD, GRÜNE, FDP). Für uns bleibt dies ebenfalls erklärungsbedürftig.
Es zeigt sich, dass hier weitere Auseinandersetzungen ansetzen müssten. Der vielfach bemühte Verweis auf die Wissenschaftsfreiheit verdeutlicht zugleich, dass hier ein sensibles Thema berührt wird. Dem sind wir uns ebenfalls bewusst. Schon in vergangenden Debatten ist hier öfter das Missverständnis entstanden – teils auch gezielt befeuert – als würden wir ein neues Paradigma einfordern wollen, dem sich unterzuordnen sei. (13) Beispielsweise: “Die Quote und wir” (plurale-okonomik.de 2018). Es bleibt wichtig zu betonen, dass es uns hier – im Gegensatz zu Position der AfD – nicht darum geht, dass die Politik sich für die Abschaffung von wissenschaftlichen Disziplinen oder die Absetzung von Wissenschaftler*innen einsetzen sollte.
Wir meinen mit Pluralität vielmehr die Forderung nach einer Ergänzung der derzeitigen Wissenschaftslandschaft (siehe Ausführungen im Abschnitt “Zur Haltung einer pluralen Ökonomik”). Diese Forderung beruht dabei auf einen wissenschaftlichen Anspruch, der zwei zentrale Aspekte adressiert:
ERSTENS: Wir fordern damit einen Wettbewerb der Ideen ein, um adäquate Antworten auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts finden zu können. Doch momentan lassen sich vor allem problematische Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften feststellen, insbesondere der ökonomischen Lehre. Die Beharrungskräfte innerhalb der Disziplin scheinen teils erheblich.
Dies ist letztlich nicht nur ein Problem für die Ökonomik, sondern auch für die Politik. So ist der Stellenwert ökonomischer Antworten in der politischen Debatte hoch. Umso mehr sorgt uns, dass immer die gleichen abstrakten Antworten (wie “Der Markt soll’s richten”, “Eine CO2-Bepreisung würde alle anderen Maßnahmen überflüssig machen”) den öffentlichen Diskurs dominieren und für uns auf eine enggeführte Lesart hinweisen.
Eine plurale Ökonomik könnte aufzeigen, dass es weit mehr Antworten und auch grundsätzlich andere Perspektiven und Herangehensweisen auf Wirtschaft gibt. Dies scheint uns insbesondere im Hinblick der aktuellen Herausforderungen einer sozial-ökologischen Transformation für dringend erforderlich. Doch nicht nur hier könnte Thüringen eine gewisse Vorreiterrolle einnehmen.
Die Sympathiebekundungen von Seiten der AfD Thüringen zeigen, dass nicht nur marktfundamentalistisches Denken, sondern auch alternative ökonomische Ansätze für völkische und rechtsextreme Weltansichten gewisse Anschlussfähigkeiten beinhalten. Hier gilt es sich inhaltlich deutlich von abzugrenzen. Ebenso zeigt es die Notwendigkeit auf, sich wissenschaftlich verstärkt mit menschenfeindlichen Abwertungsmustern innerhalb ökonomischen Denkens sowie mit nationalistischen Aufladungen z.B. einer ökologischen Regionalwirtschaft auseinanderzusetzen zu müssen. Auch hierzu könnte eine plural-ökonomische Ausrichtung entsprechende Pionierarbeit leisten.
Eine plurale Ökonomik besitzt somit ein vielversprechendes Potenzial um aktuelle Engführungen in der Ökonomik überwinden zu helfen, bisherige Forschungen und Ansätze sinnvoll zu ergänzen und um neue Impulse und Ansätze zu bereichern. Interessante Anknüpfpunkte lassen sich schon jetzt an den thüringischen Hochschulstandorten identifizieren.
ZWEITENS lässt sich feststellen, dass die Engführungen systematisch zu einem Verlust an wissenschaftlicher Kontroversität führen und insbesondere wissenschaftliche Karrieren abseits dieser Engführungen erheblich erschwert, wenn nicht gar unmöglich macht. Dennoch scheint das Gro der Ökonom*innen kein Problem erkennen zu wollen. Könnte hier also gewissenmaßen Wissenschaftsfreiheit gefährdet sein? Es lässt jedenfalls die sensible Frage ins Zentrum rücken, wie Wissenschaftsfreiheit eigentlich vom Staat aktuell gewährleistet wird. Für uns handelt es sich um eine zentrale Errungenschaft, die es angemessen abzusichern gilt.
Eine Debatte darüber sollte daher die politischen Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten in den Fokus nehmen. Denn die Politik prägt schon heute mit ihren Rahmensetzungen und Förderanreizen das Wissenschaftssystem. Darüber gilt es zu diskutieren. Doch dazu bedarf es zuerst Transparenz und einer ehrlichen Debatte, insbesondere wenn sich Hochschulen auf der anderen Seite zunehmend gegenüber Unternehmenskooperationen öffnen sollen. Nicht zuletzt hat es die schleswig-holsteinische Landesregierung aus CDU, GRÜNE und FPD vorgemacht, dass beispielsweise die Forderung nach einer Einrichtung einer Professur für plurale Ökonomik durchaus machbar ist. Zum Grundrecht der Wissenschaftsfreiheit zählt nämlich ausdrücklich auch:
eine öffentliche Grundausstattung und -förderung in Hochschulen und Forschungseinrichtungen, die keine Disziplinen diskriminiert, keinen ökonomischen Nutzennachweis zur Voraussetzung macht und keinen wissenschaftsfremden Interessen untergeordnet ist.
Deutsche UNESCO-Kommission, 2017Eine Hochschulpolitik muss letztlich auch daran gemessen werden. Der Staat besitzt also durchaus einen politischen Handlungsspielraum, um potentielle Missstände zu verhindern oder gar zu beheben. Das erfordert sicherlich die nötige Sensibilität. Selbstverständlich bleibt auch die Ökonomik selbst gefragt. Doch zu einer politischen Rahmensetzung gehört auch angemessene Infrastrukturen bereitzustellen sowie zukunftsweisende Förderprogramme zu initiieren, um spezifische Herausforderungen gezielt zu adressieren.
Wir treten für eine plurale Ökonomik ein, die Wissenschaftsfreiheit belebt und Menschenwürde achtet. Wir werden also weiterhin einen Wettbewerb der Ideen einfordern. Einen Wettbewerb, der allerdings nicht bloß auf ein ökonomisches Primat verkürzt werden sollte, sondern indem statt dessen vielfältige Ansätze entwickelt und diskutiert werden. Einen Wettbewerb, der einen Raum für ökonomische Perspektiven schafft, die unsere Ökonomie in Gesellschaft und Ökologie eingebettet verstehen. Damit könnten nicht nur potentielle Wege zu einer nachhaltigen und damit zukunftsfähigen Wirtschaftsweise aufgezeigt werden. Überdies würde dem international etablierten Leitbild einer nachhaltigen Entwicklung angemessen Rechnung getragen.
Wir hoffen mit unseren Einordnungen einige Impulse für weiterführende Auseinandersetzungen aufgezeigt zu haben und sind gespannt, inwiefern und wer bereit ist, sich einer solchen Debatte zu stellen.
⮩ Teil 1: Hier nehmen wir die Antworten der thüringischen Parteien zur Wirtschafts- und Klimaschutzpolitik unter die Lupe.
Referenzen
(1) Weiterführend: “Die Krise der VWL und die Vision einer Pluralen Ökonomik” (Dirk Ehnts und Lino Zeddies/wirtschaftsdienst.eu 2016), “Internationaler Aufruf für eine plurale Ökonomik” (ISIPE 2014), “Wieso Finanzkrisen mit einer pluraleren VWL besser antizipiert und bewältigt werden könnten” (Joscha Krug et al./makronom.de 2018).
(2) Beispielsweise: “Beeinflussung und Manipulation in der ökonomischen Bildung. Hintergründe und Beispiele” (Silja Graupe 2017), “Zur Pluralität der volkswirtschaftlichen Lehre in Deutschland. Eine empirische Untersuchung des Lehrangebotes in den Grundlagenfächern und der Einstellung der Lehrenden” (Frank Beckenbach et al. 2016), Studienreihe “Kritische Lehrbuchanalyse” (Universität Siegen), “Wirtschaft neu denken. Blinde Flecken der Lehrbuchökonomie” (Till van Treeck und Janina Urban, Hrsg. 2017). Siehe auch elfteilige Beitragsserie: “Wie plural ist die Ökonomik in Deutschland?” (makronom.de 2019).
(3) Weiterführend: “Zehn Jahre Pluralismus-Debatte in der Ökonomik – eine Zwischenbilanz” (Sebastian Thieme/makronom.de 2018), Forschungsprojekt “Netzwerke, Paradigmen, Attitüden: Der deutsche Sonderweg im Fokus” (oekonomik.info), “Das Ende der Heterodoxie? Die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften in Deutschland“ (Arne Heise et al. 2017). Exemplarisch siehe “Ökonomen warnen vor einseitiger Ausrichtung der HWR Berlin” (tagesspiegel.de 2019) bzw. Offener Brief des Netzwerk Plurale Ökonomik (plurale-oekonomik.de 2019).
(4) Weiterführend: “Paradigmadominanz in der modernen Ökonomik und die Notwendigkeit eines kompetitiven Pluralismus” (Frank Beckenbach, in: Perspektiven einer pluralen Ökonomik 2019).
(5) Beispielsweise: Lüneburg “Studierende organisieren zusätzliche Seminare” (leuphana.de 2019), “Wie die Ökonomik durch plurale Ansätze bereichert wurde” (Oliver Richters und Hannes Vetter/makronom.de 2018), “Plurale Ökonomik ist sowohl Kritik als auch gelebte Praxis” (Birte Strunk/makronom.de 2017).
(6) Eine Übersicht über interessante Studiengänge findet sich unter www.plurale-oekonomik.de/studiengaenge
(7) “Um die wirtschaftswissenschaftlichen Fachangebote in Schleswig-Holstein sinnvoll zu ergänzen, werden wir eine Professur für ‘Plurale Ökonomik’ schaffen“ (Koalitionsvertrag 2017-2022 von CDU, GRÜNEN, FDP: 26). Mehr Infos siehe Internationales Institut für Management der Europa-Universität Flensburg (IIM/facebook.com 2019).
(8) Weiterführend: “Autoritäre Versuchungen” (Wilhelm Heitmeyer, 2018).
(9) Es sind höchst problematische Tendenzen, die sich wohlgemerkt auch anderswo finden lassen – beispielsweise durchaus auch innerhalb der Ökonomik. Weiterführend: “Ökonomische Misanthropie? Grundmuster und Konsequenzen für die Soziale Frage” (Sebastian Thieme, 2018).
(10) Beispielsweise: Debattenbeitrag “Die Stunde der Pluralen Ökonomie” (Samuel Decker 2017). Gedankenimpulse zur allgemeine Diskussion: “Die Route wird neu berechnet” (Jan-Werner Müller/soziopolis.de 2019)
(11) Beispielsweise: Schlaglichter zu Ungarn “Professorin über Gender-Studies-Verbote” (Andrea Pető/taz.de 2018), Brasilien “Jair Bolsonaros Feldzug gegen die Wissenschaft” (spiegel.de 2019), Polen Kritik an neuem Hochschul-Gesetz (deutschlandfunk.de 2018).
(12) Beispielsweise: Resolution “Wissenschaftsfreiheit weltweit” (UNESCO.de 2017), Offener Brief an Victor Orbán (zeit.de 2019), “Wie steht es um die Freiheit der Forschung?” (uni-muenchen.de 2019). Aktuelle Kampagne zu 70 Jahre Grundgesetz: https://wissenschaftsfreiheit.de
(13) Beispielsweise: “Die Quote und wir” (plurale-okonomik.de 2018).
Zur allgemeinen Transparenz finden Sie hier die Original-Antworten der Parteien verlinkt.